Wie haben wir Babyboomer uns in den letzen 30 Jahren verändert?
Auf diese Frage gibt es wissenschaftlich fundierte Antworten: die Erkenntnisse aus dem Deutschen Alterssurvey, das seit 1996 vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) durchgeführt wird. Das Folgende hat der langjährige Direktor des DZA, Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer exklusiv für diesen Blog verfasst. In der Podcast-Episode mit ihm kommen diese und andere Aspekte vor. Zum Vor- oder Nachhören bitte hier lang https://open.spotify.com/show/2NTDewFjWvVg6C6fhvaysg
Was ist das DZA? Das DZA ist ein Bundesforschungsinstitut, dass sich mit der Lebenssituation von Menschen in der zweiten Lebenshälfte beschäftigt. Es hat zwei Hauptaufgaben: Politikorientierte Forschung und forschungsbasierte Politikberatung
Was ist der Deutsche Alterssurvey? Eine Langzeitstudie, die eigentlich „Studie zur zweiten Lebenshälfte“ heißen müsste, weil Menschen in der zweiten Lebenshälfte befragt werden, die 40 Jahre und älter sind.
Wer ist Prof. Clemens Tesch-Römer? Psychologe von der Ausbildung, der sich in einem Vierteljahrhundert als Direktor des Deutschen Zentrum für Altersfragen immer stärker Richtung Soziologie bewegt hat. Er ist Entwicklungspsychologe und Lebenslaufsoziologe und interessiert sich besonders dafür, was im Verlauf der zweiten Lebenshälfte passiert, wie sich Ungleichheiten in Kindheit und Jugend auf die Lebenssituation im Alter auswirkt und ob sich das Älterwerden unterschiedlicher Geburtsjahrgänge unterschiedlich vollzieht. Kurz: wenn einer weiß, wie sich Babyboomer in den letzten 30 Jahren verändert haben, dann Prof. Clemens Tesch-Römer.
Was ist DAS wesentliche Merkmal für Babyboomer?
„Die Babyboomer-Generation unterscheidet sich vor allem durch die große Zahl von anderen Generationen. Da ich selbst zu den Babyboomern gehöre, kann ich sagen: Es gab immer viele von uns. Es gab immer Konkurrenz: in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt. Als ich mit dem Studium fertig war, war der Arbeitsmarkt ein Arbeitgebermarkt. Das hat sich ja geändert: Jetzt ist es, zum Glück für die Jüngeren, ein Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer-Markt.
Ansonsten gibt es aus meiner Sicht keine markanten Merkmale der Babyboomer, verglichen etwa mit der gesellschaftlichen Politisierung durch die 68er (eigentlich die Kriegsgeneration). Es gibt in vielen Bereichen einen sozialen Wandel, der allmählich verläuft, etwa die Veränderung der Familienstrukturen – und jeder Geburtsjahrgange wandelt sich da ein Stück mit.
Den Babyboomern als Generation ging und geht es ziemlich gut. Geboren im Frieden, im Wirtschaftswunder, aufgewachsen in der Bildungsexpansion und einem prosperierenden Land, auch mit dem Versprechen einer sicheren Rente. Das macht die Babyboomer – trotz aller Konkurrenz – zu einer recht privilegierten Generation.
Und noch eins: Eigentlich gibt es „die“ Babyboomer gar nicht. Dazu sind die Vielfalt, die Unterschiedlichkeit der Lebensentwürfe, und die Ungleichheit, die Verfügbarkeit von materiellen Ressourcen, viel zu groß. Es gibt – immer noch – große Unterschiede zwischen Frauen und Männern, zwischen Ost- und Westdeutschen oder zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Im Verlauf der Zeit ist die soziale Ungleichheit in einigen Bereichen sogar gestiegen, etwa in der Einkommens- und Vermögensverteilung.
Das sind Befunde aus dem Deutschen Alterssurvey. Was genau ist das?
Im Jahr 1996 wurde der Deutsche Alterssurvey zum ersten Mal durchgeführt. Es wurden Menschen im Alter von 40 bis 85 Jahren befragt, alle im eigenen Haushalt lebend. Mit anderen Worten: beteiligt waren Menschen der Geburtsjahrgänge 1911 bis 1956, also Menschen, die noch im Kaiserreich geboren wurden, bis hin zu den ersten Babyboomern.
Von den Themen wurde alles berücksichtigt, was im Leben wichtig ist: Freunde, Familie, Ehrenamt, Freizeit, Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Einsamkeit, Einkommen und Vermögen, Wohnsituation und bei den jüngeren die Erwerbstätigkeit.
Im Jahr 1996 wurden Altersgruppen miteinander verglichen: Klar, Gesundheit und Fitness ist bei Älteren nicht so gut wie bei Jüngeren. Interessant ist, dass es kaum Altersunterschiede in vielen Bereichen der Lebensbewertung gibt, etwa in der Lebenszufriedenheit oder der Einsamkeit.
Bei einer sogenannten Querschnittuntersuchung weiß man aber nie, ob Altersunterschiede auf das Alter von Personen zurückzuführen ist oder auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation. Ein Beispiel: Im Jahr 1996 waren die 1956 Geborenen 40 Jahre alt, die 1936 Geborenen 60 Jahre alt und die 1916 Geborenen 80 Jahre alt.
Zentrale Frage: Worauf sind Unterschiede zwischen diesen Gruppen zurückzuführen: Alter oder Generationenzugehörigkeit?
Aus diesem Grund werden im Deutschen Alterssurvey zwei Dinge gemacht, die den Survey einzigartige machen: Erstens, alle sechs Jahre wird eine neue Stichprobe 40- bis 85-jähriger Menschen gezogen. Das erlaubt es, dieselben Altersgruppen, die aus unterschiedlichen Geburtsjahrgängen stammen. Damit kann man die Babyboomer mit anderen Geburtsjahrgängen vergleichen, etwa der Vorkriegs- und Kriegsgeneration.
Zweitens werden alle Personen im Alterssurvey alle drei Jahre befragt. Wir begleiten also unsere Untersuchungsteilnehmer und -teilnehmerinnen beim Älterwerden. Das zeigt uns Altersveränderungen, nicht nur
Altersunterschiede. Und das Tolle ist: Wir können die Altersveränderungen unterschiedlicher Generationen mit einander vergleichen!
Deshalb können Sie die Frage beantworten, inwiefern Babyboomer anders älter werden als die vor ihnen geborenen Geburtsjahrgänge. Lassen Sie uns das an fünf Themenfeldern festmachen, die besonders relevant sind:
1. Erwerbstätigkeit
Die Babyboomer konnten von der Bildungsexpansion profitieren und sind vergleichsweise gut in ihre Erwerbsbiografien gestartet. Ihre Erwerbskarrieren weisen aber auch Brüche auf, z.B. durch die hohe Arbeitslosigkeit auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt in der Nachwendezeit. Frauen der Babyboomer-Kohorte haben eine höhere Erwerbsbeteiligung als Frauen der Vorgängerkohorten, allerdings haben sie ihre Erwerbstätigkeit besonders häufig als Teilzeittätigkeit ausgeübt, mit entsprechend negativen Folgen für die eigenständige Absicherung im Alter. Häufiger als in den Jahrgängen vor ihnen waren die Erwerbsbiografien der Babyboomer von Brüchen, prekären Beschäftigungsverhältnissen und Zeiten der Arbeitslosigkeit geprägt. So hatten es Menschen in den ostdeutschen Ländern infolge der Wendezeit auf dem Arbeitsmarkt schwer.
2. Einkommen und Vermögen
Studien kommen hier zu unterschiedlichen Aussagen, gehen aber mehrheitlich davon aus, dass Armut im Rentenalter zunehmen wird. Wenn die Babyboomer aus dem Arbeitsleben ausscheiden, dürfte auch der Kreis jener, die auf diese Hilfen angewiesen sind, größer werden. Eine Simulationsstudie errechnet, dass bis 2030 die Grundsicherungsquote bis auf etwa 7 Prozent ansteigen könnte. Besonders gefährdet seien vor allem alleinstehende Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie Langzeitarbeitslose.
3. Engagement /Ehrenamt
Tendenziell zeigt sich in der Kohortenfolge eine Zunahme der ehrenamtlichen Beteiligung, das gilt auch für die Babyboomer. Angesichts ihres hohen Anteils in der Gesamtbevölkerung werden die Babyboomer noch für viele Jahre einen Großteil der ehrenamtlich Engagierten stellen. Wenn die Babyboomer in den nächsten Jahren (im Durchschnitt voraussichtlich gesünder als ihre Vorgängerkohorten) in den Ruhestand gehen, wird sich zeigen, inwieweit sie die hierdurch gewonnene Zeit auch für ehrenamtliches Engagement nutzen.
4. Soziale Integration
Die Babyboomer werden aller Voraussicht nach sozial gut vernetzt in den Ruhestand gehen. Es findet sich zwar in dieser Generation eine Zunahme von Scheidungen und Alleinlebenden aber gleichzeitig auch eine Zunahme in der Anzahl und Intensität Freundschaftsbeziehungen, die fehlende familiäre Beziehungen ausgleichen. So haben denn auch die Einsamkeitsraten im höheren Lebensalter tendenziell abgenommen.
5. Gesundheit
Tendenziell werden die Babyboomer mit einer besseren funktionalen Gesundheit, körperlicher Fitness, alt werden als die Geburtsjahrgänge vor ihnen. Mit Blick auf die Gesundheit nach medizinischen Diagnosen sieht das anders aus, unter anderem auch aufgrund von besserer Diagnostik und erfolgreichen Therapien. Aber insgesamt eigentlich ein hoffnungsvolles Bild.
Was sind denn die neuesten Erkenntnisse aus dem laufenden Alterssurvey, der ja während der Pandemie durchgeführt wurde?
Im Jahr 2020 mussten wir naturgemäß den Plan aufgeben, eine neue Stichprobe von 40- bis 85-Jährigen Menschen zu ziehen und in persönlichen Interviews zu befragen. Wir haben dann im Sommer 2020 zunächst eine schriftliche Befragung durchgeführt und im Winter 2020/2021 eine telefonische Befragung.
Was man sagen kann – und das hat uns ziemlich überrascht: In der zweiten Lebenshälfte hat die Pandemie mit Wucht alle Altersgruppen getroffen, die älteren nicht stärker als die Jüngeren. So sind alle Altersgruppen in der zweiten Lebenshälfte im ersten Sommer der Pandemie einsamer geworden, die 40-Jährigen, genauso wie die 80-Jährigen. Allerdings gibt es eine wichtige Gruppe älterer Menschen, die besonders gelitten haben: Das sind sehr alte Menschen in Pflegeeinrichtungen.
Prof. Tesch-Römer, Sie sind ja auch Mitglied im Sachverständigenrat, der für die Bundesregierung gerade am neuesten „Altenbericht“ arbeitet. Können Sie da auch schon einen Einblick geben?
Der aktuelle Altersbericht der Bundesregierung ist diesmal wieder ein allgemeiner Bericht, nach einigen Berichten mit spezifischem Fokus, beispielsweise Digitalisierung oder Rolle der Kommunen. Der Titel des Neunten Altersberichts lautet: „Altwerden in Deutschland: Potenziale und Teilhabechancen“. Die Kommission ist gerade dabei, den Bericht zu schreiben. Gliederungen, Skizzen, vereinzelt auch erste Kapitelentwürfe liegen vor – und natürlich ist nichts davon schon öffentlich.
Was man aber jetzt schon sagen kann: Die Kommission wird viel stärker als in den Berichten davor die Vielfalt von Potentialen und die Ungleichheiten in Teilhabechancen thematisieren. Unterschiede nicht nur nach Alter, sondern auch nach Geschlecht, Bildung, Einkommen, Migrationsgeschichte, sexueller Orientierung, Ost-West, Stadt-Land werden eine große Rolle spielen. Und da wird sich zeigen: Das Alter ist nicht homogen, es hat viele Gesichter – und manche sind privilegierter als andere.